To write is human, to edit is divine. (Stephen King)
Das Leseverstehen ist eine Schlüsselkompetenz, die an Berufsfachschulen und Brückenangeboten stark gefördert wird. Von einfachen Broschüren, Anleitungen, Journals bin hin zur komplexen Vielfalt
von Texten im Internet – das schnelle Erfassen, genaue Lesen, vor allem aber auch das Verstehen wird überall benötigt. Auch wenn heutzutage häufig mit Symbolen gearbeitet wird (die Emojis sind
ein Paradebeispiel dafür), die ein rasches Auffassen ohne grosse Lesefähigkeiten ermöglichen, so ist es in der Arbeitswelt trotzdem unerlässlich, Kombinationen von Wörtern und Sätzen problemlos
aufzunehmen und verstehen zu können.
Häufig wird in der Berufsbildung mit Sachtexten gearbeitet – meist aus dem Umfeld des entsprechenden Berufsfeldes. Eine nachvollziehbare Überlegung. Und
wenn es darum geht, Texte zu verfassen, so ist der Begriff «Aufsatz», der schon seit Generationen durch die Schulstuben geistert, immer noch nicht vertrieben worden. Die Lernenden verfassen
Schilderungen, Erörterungen, Beschreibungen, Interpretationen.
Es gibt nichts dagegen einzuwenden, doch hat nicht auch die Belletristik im Allgemeinbildenden Unterricht ihre Berechtigung? Vielfach werden die Finger davongelassen; die Zeit reicht nicht dafür,
um den Lehrplan zu erfüllen, die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Texten im Bereich der Sachliteratur erscheint wichtiger. Sollte
aber nicht auch die Leseförderung ein Ziel der Schule sein – und zwar nicht eines, das irgendwann nach der Primarschule nur noch als Floskel im Lehrplan zu finden ist? Wir
alle sind mit Geschichten aufgewachsen. Auch die heutige Generation. Vielleicht nicht mehr mit Geschichten, welche von den Eltern vor dem Schlafengehen am Bettrand erzählt werden, sondern mit
Zeichentrickfilmen und Serien im Fernsehen oder auf Netflix.
«Kinder brauchen Märchen», sagte einst Bruno Bettelheim. Und auch wenn es im fortgeschrittenen Alter nicht mehr Märchen sind, so sind wir doch interessiert an einer guten Story. Spannende Krimis,
grosse Dramen, geheimnisvolle Geschichten oder Biografien faszinierender Persönlichkeiten – all das bleibt immer für die Menschen ständig interessant. Das zeigt ja auch gerade der Erfolg von
Netflix. Dass
man sich solche Erlebnisse nicht nur auf der Mattscheibe einverleiben kann, sondern dass auch mit der Lektüre eines guten Buches das Eintauchen in eine schillernde Welt erlebt werden kann, das
sollte die Lehrperson auf allen Schulstufen versuchen, den Lernenden zu vermitteln. Daher
bin ich überzeugt davon, dass die Auseinandersetzung mit Belletristik das Interesse an einem guten Buch fördern kann.
In meinem Klassenzimmer befindet sich eine grosse Bibliothek mit weit über dreihundert Büchern – Literatur für junge Erwachsene zu allen möglichen Themen. Meine Lernenden sollen lesen, nach
freier Auswahl, in ihrem eigenen Lesetempo – und sich dann aber auch individuell mit den Texten beschäftigen; Aufträge dazu gibt es in Hülle und Fülle. Das kann eine Buchbesprechung, ein
Beziehungsschema des Romans, eine kurze Präsentation vor der Klasse sein. Und
als Folge dieser intensiven Lektüre soll aber auch geschrieben werden – nicht nur Zusammenfassungen oder Erörterungen, sondern auch belletristische Texte. Die Königsdisziplin des Romans ist dabei
eine ziemlich hohe Hürde, wobei ich im Verlauf meiner Dokumentation auch noch auf ein Romanprojekt hinweisen werde. So bietet sich die Gattung der Kurzgeschichte – der Short Story – als
geeignetes Genre an, um erste fantasievolle Schreibversuche zu wagen. Ich möchte mich damit bis zu einem gewissen Grad zum «creative writing» abgrenzen, denn es erscheint mir wichtig, dass auch
bei belletristischen Schreibanlässen klare Leitplanken und Vorgaben gesetzt werden.
Mit diesen Ideen habe ich im Frühjahr 2019 mit meinen Lernenden das Projekt «Short Storys – jeder kann schreiben» gestartet; ein Schreibversuch, den ich als sehr gelungen betrachte und der
auf durchwegs positive Rückmeldungen gestossen ist.
Im folgenden Jahr habe ich mit einer neuen Klasse das Projekt im Fernunterricht noch etwas ausgeweitet. Entstanden
ist wiederum eine Kurzgeschichten-Sammlung mit 16 Storys, denen ich den letzten Schliff verliehen und für ein einheitliches Layout gesorgt habe. Auf der eigens für unser Projekt entworfenen
Homepage stellten wir unser Produkt vor und versuchten, mit den sozialen Medien möglichst viel Aufmerksamkeit zu erlangen.
Ab Beginn des letzten Quartals starteten wir den Verkauf. Die Rückmeldungen unserer Leserinnen und Leser waren sehr positiv, das Langenthaler Tagblatt und der Unter-Emmentaler berichteten
über das Projekt. Ende Juni durften wir auf unserem, eigens für dieses Projekt erstellte Konto ein Total von rund CHF 2'000.-- feststellen, die Hälfte davon durften wir als Gewinn ausweisen.
So konnten wir also CHF 500.-- der Glückskette, zu Gunsten der Coronahilfe Schweiz, überweisen und andererseits in der letzten Schulwoche unser Schlussessen finanzieren.
Und nun stehe ich – erneut mit einer neuen Klasse – vor der dritten Runde meiner Schreibwerkstatt. Neue Ideen kursieren in meinem Kopf, nun geht es darum, die Lernenden langsam an den
Schreibprozess heranzuführen. Die
Lernenden sind motiviert, und durch den hoffentlich andauernden Präsenzunterricht werden sie auch bei Vermarktung und Vertrieb mehr Verantwortung übernehmen dürfen.
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