Die Lesung ist für einen Autoren meist die einzige Möglichkeit, direkt mit seiner Leserschaft zu kommunizieren. Man stellt fest, ob die Pointen sitzen, ob die Spannung gesteigert werden kann. Zudem findet ein reger Austausch statt: Es können Fragen gestellt und Rückmeldungen gegeben werden.
Zunächst müssen einmal die passenden Textstellen auszuwählen. Dabei geht es natürlich darum, die Zuhörer auf das Buch neugierig zu machen, sodass sie mehr wissen möchten und das Produkt schliesslich auch erwerben. Dann gilt es auch, die Balance zu halten, das heisst: Die Ausschnitte sollen betroffen machen, Spannung erzeugen und das Publikum auch zum Lachen bringen. Und sie dürfen noch nicht allzu viel über die Handlung verraten, das sollen die Leserinnen und Leser ja selber nachlesen können. Danach müssen die ausgewählten Passagen gründlich überarbeitet werden. Sie werden gestrafft, gekürzt, ganze Abschnitte werden gestrichen, sodass daraus ein gut verdauliches Häppchen entsteht. Nun muss natürlich auch das Vorlesen vorbereitet werden. Die Texte müssen mir in Fleisch und Blut übergehen, damit häufig aufgeschaut und Blickkontakt mit den Zuhörern hergestellt werden kann. Zudem sind auch Improvisiervermögen und Spontaneität gefragt - dann wenn der Faden verloren wird. Betonung und Mimik werden zum Schluss auch noch eingeübt. Nicht alle Autoren sind auch gute Vorleser. Max Frisch beispielsweise las seine Texte so monoton vor, als ob eine Computerstimme am Werk wäre.
Doch mit der Auswahl der Textstellen ist die Lesung noch nicht vorbereitet. Das Publikum will mehr hören als nur vorgelesene Passagen. Das heisst, dass ich mir gut überlege, was ich noch alles erzählen, welche Hintergründe ich verraten will. Zudem muss ich für die verschiedenen Ausschnitte gute Übergänge finden, die Zuhörer auf die Situation einstimmen, damit sie den Text, der aus dem Zusammenhang herausgerissen ist, auch verstehen können.
Als Auflockerung finde ich ein sogenanntes Werkstattgespräch sehr geeignet. Also ein Interview, in dem der Moderator oder die Moderatorin dem Autoren begegnet und ihm Fragen zu seinen Ideen, den Absichten und der Arbeitsweise stellt. Das ist ja eigentlich dasjenige, was viele Zuhörer sehr interessiert: Was steckt hinter dem Text? Wie kommen Sie auf Ihre Ideen? Wieviel schreiben Sie pro Tag? Wieviel von Ihnen steckt in Ihren Büchern? Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie auch Ihren eigenen Büchern vorlesen? Haben Sie einen Plan, wenn Sie mit einem Roman beginnen oder schreiben Sie einfach ins Blaue? Das alles sind Fragen, die interessieren und die ziemlich selten aus dem Publikum kommen. (Wer will sich schon exponieren?) Ausserdem wird der Anlass dadurch abwechslungsreicher. Es ist nicht bloss der Autor, der vorne sitzt oder steht und vorliest oder erzählt - es gibt auch noch einen Gesprächsteil, in dem der Moderator dem Schreiberling mit geschickten Fragen viel aus seiner Gedankenwelt und von seiner Vorgehensweise entlocken kann.
Die Moderation ist ohnehin ein sehr wichtiger Punkt, der gut vorbesprochen werden sollte. Wie wird der Autor vorgestellt, wann findet das Interview statt? Der Moderator beendet den Anlass, gibt dem Publikum auch noch die Gelegenheit, um Fragen zu stellen und leitet schliesslich zum Schlussteil über: Büchertisch, Gelegenheit zum Signieren und Plaudern, allenfalls gar noch ein Apéro.
Auch die räumlichen Begebenheiten sollten gut erkundet werden. Ich bin immer eine Stunde vor Beginn am Veranstaltungsort, um mich mit den Räumlichenkeiten vertraut zu machen und die Atmosphäre in mich aufzunehmen. Dabei können auch noch die technischen Feinheiten besprochen werden: Wie sind die Lichtverhältnisse, ist ein Mikrofon oder eine Leselampe notwendig? Ist der Stuhl bequem, der Tisch zu hoch oder zu niedrig? Schliesslich sitze ich eine gute Stunde vor meinen Texten und Notizen und sollte mich dabei auch bequem fühlen.
Der letzte Teil der Lesung ist mich jeweils der dankbarste und derjenige, auf den ich mich am meisten freue. Die Anspannung fällt ab, ich werde locker und kann nun den direkten Kontakt mit den Leserinnen und Lesern pflegen: Signieren, Rückmeldungen einholen, Fragen beantworten. Das ist für mich immer der Lohn für die Nervosität, die ich vor jedem Anlass deutlich spüre. Ein schöner Abschluss!
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